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Was wurde eigentlich aus . . . Marcel-André Casasola Merkle
  Der Preisesammler
Von UDO BARTSCH
Ihre letzte Brettspiel-Neuheit war 2012 Santa Cruz bei Hans im Glück. Was ist seitdem geschehen?
Marcel-André Casasola Merkle: Ich ent- wickle jetzt hauptsächlich Computerspie- le. 2012 habe ich für The Coding Mon- keys an der Umsetzung von Lost Cities als iPhone-Spiel mitgearbeitet. Anschlie- ßend wollte ich auch eigene Ideen um- setzen: „Rules!“ war mein Einstieg in die Computerspielbranche.
War das eine gezielte Abkehr vom Brett- spiel?
Früher hatte ich regelmäßige Testgrup- pen in Köln und Bonn. Nach meinem Um- zug nach München ist diese Infrastruktur weggefallen. Das hat gefehlt. Generell bin ich aber auch immer auf der Suche nach Neuem. Ich mache Dinge sehr in- tensiv – dann ziehe ich weiter. Wobei ich ja den Spielen treu geblieben bin, eben nur in einem anderen Medium.
Schon zu seinen Studentenzeiten war Marcel-André Casasola Merkle ein be- kannter Spieleautor. Er entwickelte unter anderem Verräter (1998) und Meuterer (2000), in denen Drafting, Rollenwahl und Verrätertum auftauch- ten, lange bevor sie gängig wurden. Der heute 44-Jährige veröffentlichte insge- samt knapp 20 Spiele, darunter Attika (2003) und Taluva (2006).
   Marcel-André Casasola Merkle entwickelt heute vor allem Computerspiele. 2003 stellte er beim Göttinger Spieleautoren- Treffen (Foto unten) noch Brett- und Kartenspiele vor.
„Rules!“ hat 2015 den Deutschen Computerspielpreis als „Bestes mobi- les Spiel“ gewonnen. Mit „One Button Travel“ und „Polarized!“ gewannen Sie erneut. Wie bedeutsam sind diese Titel verglichen mit Brettspiel-Preisen?
Es war schon sehr verrückt, dreimal zu gewinnen – erwartet hat das keiner. Der Preis hat im Vergleich mit dem Spiel des Jahres eher lokale Bedeutung, aber er ist dotiert. Und die Anerkennung ist auch etwas Besonderes. „Rules!“ war sowieso ein Glücksgriff. Es hat sich über 500.000 Mal verkauft und mich über ein paar Jah- re finanziert.
Hilft Ihnen Ihr Brettspiel-Hintergrund bei den Computerspielen?
Sehr! Bei Brettspielen liegt das Uhrwerk unter der Fassade offen. Computerspiele versuchen, das oft zu vertuschen. Mit der Brettspielerfahrung kann ich den Bluff durchschauen und sehen, welche Mecha- nismen das Computerspiel wirklich an- treiben. Das Denken in klar formulierten Regeln ist ein wertvoller Werkzeugkasten. Haben Sie eine Design-Philosophie? Ich probiere gerne Neues aus, das war auch beim Brettspiel so. Ich starte mit einer Dynamik, die ich interessant finde. „Polarized!“ spielt mit dem realen Raum und nutzt Bilderkennungssoftware. Die Geschichte entwickelt sich weiter, indem ich als Spieler Dinge fotografiere: einen Schlüssel, um eine Tür zu öffnen. Viel- leicht brauche ich auch ein Brecheisen, habe keins und überlege: Was sieht so ähnlich aus? Kann ich dem Kamera-Al- gorithmus etwas vortäuschen?
Nach zehn Jahren Brettspielpause ist aktuell So bin ich eben! erschienen. Steigen Sie wieder ein?
Das war eine Auftragsarbeit für einen Buchverlag, die ich zusammen mit Agnes Lison umgesetzt habe: ein Hybrid zwi- schen Persönlichkeitstest und Spiel. Mal wieder analog zu arbeiten, hat viel Spaß gemacht. Ich suche immer nach neuen Herausforderungen und finde die aktuel- len Entwicklungen in der Brettspielszene sehr spannend. Konkrete Pläne gibt es aber noch nicht.
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   Fotos: Bartsch, Casasola Merkle


















































































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