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     Sprache“ sind auch online zu finden. „Er soll unseren Mitarbeitenden sowie unse- ren aktiven Mitgliedern aufzeigen, wie Texte verfasst werden können, ohne Men- schen auszugrenzen oder unsichtbar zu machen“, erklärt Meier. Etwa durch den Verzicht auf ein generisches Maskulinum und stattdessen durch den Gebrauch des Gender-Sterns (Asterisk) oder neutraler Formulierungen. „Es handelt sich immer- hin um ein didaktisches Spiel zum Thema Menschenrechte“, erklärt Michelle Meier – dazu gehöre nun mal auch „die Refle- xion über sprachliche und gesellschaftli- che Veränderungen“. So müsse man etwa beim Einordnen historischer Zusammen- hänge auch sprachlich eine „zeitgemäße Geschichtsvermittlung“ erwarten können – etwa im Umgang mit Begriffen wie „In- dianer“ oder „Eskimo“. Diese Sensibilität, erläutert Meier, habe Hostettler „vermis- sen lassen“.
Er selbst sieht das freilich anders. „Inuit“ etwa bezeichne eben nur einen Teil der Indigenen in der Nordpolarregion und schließe andere Ethnien aus. Dabei solle die Sprache doch gerade inklusiv sein. Wörter wie „Kreuzritter*innen“, „Ko- lonialist*innen“, „Sklav*innenhandel“ oder „Journalist*in“ widerstrebten Ho- stettler. Er kritisiert an AI auch, dass man über solche Fragen nicht habe diskutie- ren können. Am Ende habe eine „Chef- redaktorin“ alles abgebügelt: Es sei ein „Streichkonzert sprachlicher und inhalt- licher Art“ gewesen, das Gros der „Um- formulierungsvorschläge und -anweisun- gen“ sei unmöglich umzusetzen gewesen. „Ich fühlte mich als Autor diskriminiert.“ Zumal die Geschichte nicht frei von Iro- nie ist: Schließlich war es doch Hostettler, der 1989 bei Fata Morgana zum allers- ten Mal überhaupt eine Regel im gene- rischen Femininum verfasst hat. „Weil so viele Spielregeln nur von ‚Spielern‘ spra- chen, wollten wir einen kleinen Ausgleich schaffen – Fata Morgana sprach nur von
Spielerinnen.“ Hostettler will sich also nicht missverstanden wissen, auch als „alter Mann“ sehe er sich in der Pflicht, Sprache zu überdenken. „Aber ich will es auch nicht übertreiben.“
Kurzum: Beide Seiten einigten sich darauf, das Projekt zu begraben – einver- nehmlich, sagt Meier. Sie zeigt sich ent- täuscht, wie Hostettler den Disput und den finalen Eklat in einem Facebook-Post Ende September 2021 publik machte. Sie spricht von „falschen Angaben über den Verlauf des Projektes“ und beklagt den „Ton, der uns gegenüber in der Facebook- Nachricht angeschlagen wird“. Hostettler verteidigt sich: „Ich hatte das Spiel dort schon mehrfach angekündigt.“ Und die Reaktion? „Es gab Zustimmung“, sagt er – und fügt nachdenklich dazu: „In einigen Fällen gab es mir zu viel Zustimmung.“ Aussagen wie „scheiß Gendersternchen“, Klagen über die „Political Correctness“ oder gar Aufrufe zum Boykott von Am- nesty, das spiegele nicht seine Meinung wider – trotz allen Grolls.
I Epilog
Zu Beginn des Jahres 2022 gab es
versöhnliche persönliche Neujahrsgrüße von Michelle Meier, berichtet Hostettler. Und auch wenn längst ein Anno Domini „Black“ ab 18 Jahren in der Produktion ist – eine „Sammlung düsterer Ereignis- se, menschlicher Niedertracht, von Grau- samkeiten, Seuchen, Katastrophen und verheerender Dummheit“, die Menschen- rechte-Ausgabe sei noch nicht begraben. Aktuell will Hostettler – auch aus Rück- sicht auf Michelle Meier und der von ihr investierten Arbeitszeit – diese Edition nicht herausbringen. Zumal die Verla- ge gerade an einer Veröffentlichung in Kooperation mit AI (inklusive Branding) interessiert gewesen seien. Zudem sei die Kooperation ja auch inhaltlich sinn- voll gewesen, um das heikle Thema Men- schenrechte angemessen zu bearbeiten. Er, Urs Hostettler, habe dennoch Hoff- nung für das Projekt: „Vielleicht nach 2025, wenn wieder etwas sprachliche Vernunft und Toleranz einkehrt.“
Hehre Ziele
– verheerendes Ergebnis
  Ein Kommentar von FABIAN ZIEHE
Was steht am Ende des Schla- massels? Keine „Mo- ral von der Geschich- te“. Es lässt sich die schon banale Einsicht gewinnen, dass auch wenn es um Gesellschaftsspie- le geht, wenn alle dasselbe, das Gute wollen, es ein heikles Terrain mit Grau- stufen und Schattierungen ist. Reden könnte helfen, hilft immer. Gerade das Reden vor dem Machen: Was erwartet man eigentlich? Welches Spiel, wel-
che Zielgruppe, welche Mechanismen – aber auch welche Sprache, welchen Umgang mit Themen, welche Haltung? Auf welche Spielregeln einigt man sich? „Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind“ heißt es zwar im Lukasevangelium – allein: das bloße Wollen reicht eben nicht. Eine diskri- minierungsfreie Sprache, ein sensibler Umgang mit Geschichte – das ist prima, macht aber Mühe. Einfach mal loslegen – das ist toll, total „hands on“, wie man Neudeutsch sagt. In der Sache riskiert man aber, den hehren Zielen eines zu erweisen: einen Bärendienst.
    Urs Hostettler hat sprachliche Sensibilität
vermissen lassen.
Michelle Meier
Es war ein Streichkonzert sprachlicher und
inhaltlicher Art.
 Urs Hostettler
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