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 Analyse. Frisiert, Mini Express und Jagd durch Entenhausen
  Das komplementäre Dilemma
    Von CHRISTWART CONRAD
aber zum einen nur begrenzt verfügbar ist und außerdem noch einen Siegpunkt kostet.
Eine besondere Dilemma-Art hat sogar einen jeweils gegenteiligen Effekt. Wenn ich bei Mini Express eine Aktie kaufe, die mir einen weiteren Ertrag am Spiel-Ende verspricht, muss ich meinen Einflussmar- ker genau bei dieser Firma zurücksetzen. Dadurch aber sinke ich meist ordentlich in der Einflusshierarchie, sodass meine Ausschüttung pro Aktie niedriger aus- fällt als ohne diese Aktion. Einem solchen Zwiespalt weicht man gern aus, indem man eine Gelegenheit auf einen kosten- losen Anteilsschein beim Schopfe packt.
Friedemann Friese hat in seinem Fri- siert! ebenfalls eine komplementäre Kopplung eingerichtet. Dazu verwendet er Karten mit einer doppelten Funktion. Wer die Karte einer bestimmten Moped- farbe als Wettschein auswählt, nimmt zu- gleich das Risiko in Kauf, dass eben die- ses Moped schlechter vorankommt, weil ihm diese Karte zur Fortbewegung fehlt. Auch in diesem Fall können die Kosten bei null liegen und sich das Dilemma in Luft auflösen, nämlich wenn absehbar ist, dass die Partie sowieso vor einem poten- ziellen Einsatz endet.
Bereits Ende der 70er-Jahre brach- te ASS Wolfgang Kramers Jagd durch Entenhausen heraus. In diesem Spiel rennen sechs Disney-Charaktere um die Wette, ebenfalls durch Karten angetrie- ben, die sich nun allerdings in Spieler- hand befinden. Die Besitzer der Figuren werden anfangs zugelost. Im weiteren Verlauf kann man einem Mitstreiter eine Figur abjagen, indem man auf die Fortbewegung verzichtet und mit der gespielten Karte einen Besitzertausch vornimmt.
Schon in diesem Titel – was untypisch für diese Spiele-Frühzeit war – findet sich das komplementäre Dilemma, denn die zum Tausch eingesetzte Karte fällt für die Fortbewegung aus. Anders als in der Regel üblich, wird in diesem Rennen übrigens nicht der Sieger, sondern der Verlierer ermittelt, also der Besitzer der letzten verbliebenen Figur, nachdem alle anderen das Ziel erreicht haben. Nicht selten hat diese Figur dann mehrmalige Besitzerwechsel hinter sich.
Typisch für das komplementäre Di- lemma ist dieser nagende Schmerz über den unvermeidlichen Verlust. Zum Glück schadet er nicht der Gesundheit, sondern dient der Spannung im Spiel.
M
uns erfahrenen Spielern so geläufig, dass wir es gar nicht mehr als besonderes Phä- nomen wahrnehmen.
Beispielsweise ist jedes Landschafts- plättchen in Cascadia mit einem Plat- zierungsrecht für ein bis drei bestimmte Tiere verknüpft. Und daraus entwickelt sich dann für den Aktiven die Herausfor- derung, sich zu entscheiden. Er steckt in einem Dilemma: Wählt er das Plättchen, das Wald und Sumpf zeigt und wunder- bar gleich beide Landschaften in seiner Auslage vergrößern würde, könnte es sein, dass er mit den aufgedruckten Tie- ren dort nichts anfangen kann. Sowohl ein Bär als auch ein Lachs erwiesen sich als Punktevernichter, sofern zu viele Tiere der jeweiligen Art bereits daneben direkt angrenzend liegen sollten.
Ein weiteres Dilemma entsteht durch die in der angebotenen Auslage liegende Tierscheibe, die dem Plättchen zugeord- net ist. Passt nur eines von beiden, kann man zwar auf eine andere Kombination mithilfe eines Zapfens ausweichen, der
oderne Spielmechanismen zeich- nen sich oft dadurch aus, meh-
rere Effekte zu koppeln. Das ist
Das komplementäre Di- lemma tauchte bereits 1979 in Jagd durch Entenhausen auf. Und feiert aktuell wieder fröhlich Urständ: Friedemann Friese setzt es in Frisiert! ein, Mark Gerrits greift in Mini Express ebenfalls darauf zurück.
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Fotos: Becker, Conrad

















































































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