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 Siegpunktmultiplikatoren und Fortschrit- ten auf zwei weiteren Skalen. Bestimmte Felder dort lösen wiederum seine Aktivie- rung aus oder verdoppeln seinen Einfluss. Diese kreuzweise Verzahnung ist typisch fürs Genre des anspruchsvollen Entwick- lungsspiels.
Spätestens im vorletzten Durchgang sollte man sich um Fuhrwerke kümmern, mit denen man die Ausgebeuteten wie- der nach Messina zurückbringt. Dabei verliert man zwar seine Gehilfen, wird aber am Ende für diese Wohltat fürstlich entlohnt. Des Weiteren kann mit Punkte- hagel rechnen, wer sich dem Ende einer Skala nähert oder dort anschlägt.
Für ein klassisches Eurogame bildet Messina 1347 das Thema geradezu vor- bildlich ab. Die Rahmengeschichte unter- stützt die Spielerhandlungen. Wir Spieler tun, was angesagt ist, und müssen kaum neue Begriffe lernen. Damit hebt es sich wohltuend von den üblichen Kreationen ab, die an den Haaren herbeigezogene Belohnungen für bizarre und unzusam- menhängende Tätigkeiten erfinden. Wer die klar strukturierte 20-seitige Anleitung zum ersten Mal studiert, kann den Gedan- kengängen gut folgen, was den Einstieg erleichtert. Erstlinge erkennen schnell, wo sie an Siegpunkte kommen, und sind nicht so orientierungslos wie in manch anderem Expertenspiel. Gleichwohl ist man von der Erkenntnis, an welcher Stelle sich die meisten Chancen bieten, in der ersten Partie weit entfernt. Das frustriert aber nicht, sondern macht Lust auf mehr.
Wie immer will man in seinem Zug möglichst vielfach und optimal profitie- ren. Da heißt es: abwägen, planen, kalku- lieren. Lohnt sich ein Bürger, der in Qua- rantäne muss? Oder sind Feuerplättchen jetzt wichtiger?
An allen Ecken und Enden gibt’s Boni, was gefällt. Sie geschickt auszunutzen und deren Verfall zu vermeiden, ist die Kunst. Nicht zu vernachlässigen sind Be- lohnungen auf den Skalenfeldern. Dazu ein taktischer Tipp: Man sollte nicht ver- gessen, dass man auf zwei der Skalen gegen Geld zusätzlich vorrücken darf.
Am liebsten will man alle Entwick- lungsstränge verfolgen, doch wie so oft gilt es, weise Entscheidungen zu treffen. Für den Dranling ist es spannend, wenn sie in ergiebige Kettenzüge münden. Das kann manchmal Zeit kosten. Da die Mit- streiter selten direkt von Zügen der ande- ren betroffen sind, ist Wartezeit in Kauf
zu nehmen; ein Grund, weshalb ich Par- tien zu zweit oder zu dritt bevorzuge.
Die Interaktion entsteht vor allem auf der gemeinsamen Spielfläche. Bitter, wenn ein Gegner das für optimal befun- dene Hexagon in Beschlag nimmt. Im Einzelfall mag es da durchaus lohnen, in der Auslage des Kontrahenten nachzu- schauen, um dessen Interesse einzuschät- zen, was jedoch den Spielfluss verzögern kann. Ansonsten spielt jeder innerhalb seiner Auslage für sich – mit dem Risiko unabsichtlicher Regelfehler. Oft steckt ja der Teufel im Detail. Auf welche Unterge- benen hat ein aufgewerteter Aufseher Zu- griff? Wie wirkt das Doppelfeuer bei den Booten und auf dem Pest-Höhepunkt?
Fehleranfällig ist auch die Gestaltung der Hexfelder. Einerseits hat man sich Mühe gegeben mit der stimmungsvol- len Zeichnung der Häuser, andererseits verschwimmen auf dem Untergrund die recht unscheinbaren Bewohnerplättchen. Nicht selten hatte ein Pestbekämpfer im Eifer des Gefechts einen noch anwesen- den Bürger übersehen. Konzentration ist bei der Bewegung der Meeple gefordert, sonst passieren schwer rekonstruierbare Spielfehler. So hatten einmal irrtümlich zwei Spieler dasselbe Hexfeld genutzt.
Insgesamt erscheint Messina 1347 leicht überfrachtet. Vermutlich wurden vorwiegend aus thematischen Gründen die Schiffe eingeführt. Zwar bringen diese durchaus noch eine weitere strategische Variante hinein, der Zeit- und Regelauf- wand dafür steht meines Erachtens je- doch in keinem ausgewogenen Verhältnis zum Mehrwert. Die Fortgeschrittenenver- sion mit persönlichen Sonderfähigkeiten hat gar nicht überzeugt. Die von den Schiffen gelieferten Waren werden darin differenziert, da sie aber völlig zufällig und unvorhersehbar ins Spiel kommen, sah dies niemand als Gewinn an.
Alles in allem verschaffen die verwo- benen Aktionen und herausfordernden Dilemmata reizvolle Stunden. Dabei liegt die Spielzeit für mich an der Obergrenze. Um das Spiel vollständig zu erklären, be- nötigt auch ein versierter Erklärer eine hal- be Stunde. Da ist der Aufbau, der mindes- tens zehn Minuten verschlingt, noch nicht eingerechnet. Ich habe das Gefühl, dass heutzutage eine hohe Spieldauer viel eher als früher akzeptiert wird. Oder bin ich nur weniger gnädig geworden? Immerhin, gemessen an anderen Zeitbeanspruchern wie Boonlake oder Arche Nova fühlt sich Messina 1347 geradezu zivil an.
    Titel: Autoren:
Illustration: Verlag: Personen: Alter: Dauer: Preis:
Messina 1347 Vladimir Suchý, Raúl Fernández Aparicio Michal Peichl Delicious Games
1 – 4
ab ca. 14 Jahren
ca. 120 –180 Minuten ca. 50 Euro
 Kritiker Spielreiz
Christwart Conrad
Die Rezension bezieht sich auf die Originalausgabe von Delicious Games. Die deutschsprachige Regel ist online auf der Seite deliciousgames.org zu finden.
7
Andreas Becker 6
Sehr klassisches, feinziseliertes Eurogame. Aber es fehlt ein Alleinstel- lungsmerkmal, das es aus der Masse herausragen lässt. Die Aufseherbewe- gung erfüllt dieses Kriterium nicht.
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