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Kritik. Gloomhaven: Die Pranken des Löwen
Ungezähmt
Gloomhaven ist eines der besten Spiele aller Zeiten
– und ein Monster: Teuer, groß, unhandlich, enorm zeitaufwendig. Unter 100 bis 200 Stunden Einsatz kaum zu bändigen. Kann es gelingen, dieses Biest zu domestizieren? Die Pranken des Löwen versucht es.
Von GERALD RÜSCHER
„G
vereinfachter Zugriff – so wird allent- halben geworben. Und in der Tat ist das Spiel an etlichen Stellen reduziert: Wo das Grundspiel noch mit 17 Charakterklassen protzte, finden wir hier nur übersichtliche vier Helden. Das modulare Brett wurde
entfernt, stattdessen fin- det man die Spielpläne fix und fertig in einem Szenario-Heft, ähnlich wie bei Nah und fern. Und die Kampagne wurde von knapp 100 Szenarien auf 25 eingedampft.
Die Pranken des Lö- wen wendet sich sowohl an Gloomhaven-Vetera- nen als auch -Grünschnä- bel. Anfänger werden dabei in einer Art Tutorial schrittweise in das Spiel
eingeführt. So spielt man im ersten Sze- nario mit nur sechs vereinfachten Ak- tionskarten, die zudem zusätzliche Erklä- rungstexte tragen. Monsterkarten gibt es noch nicht, stattdessen agieren die Geg- ner nach einem festen Schema.
Das so gestraffte Spiel zocken wir in gerade mal 30 Minuten runter und erkun- den in den folgenden Partien nach und nach weitere Mechanismen: komplexere Aktionskarten, Monsterdecks, Zustände
wie Betäubung oder Lähmung, Gegen- stände, das Hantieren mit den Elemen- ten und zuletzt Kampfziele, Erfahrung und Stufenaufstieg. In Szenario 5 wartet dann der erste Boss, und erst wenn wir den umgenietet haben, sind unsere Cha- raktere vollständig in der Gloomhaven- Welt angekommen.
Das Tutorial funktioniert, denn es ver- meidet die anfängliche Überlast aus Re- gel- und Entscheidungskomplexität. Die Startszenarien sind ebenso kurz wie ein- fach, sodass Frust wie im ersten Szenario des Basisspiels ausbleibt. Ein Rat an Ve- teranen: Wer, wie ich, die Einführung mit kompletten Neulingen spielt, sollte sich zurückhalten und ihnen das Lesen des Plans und die wesentlichen taktischen Entscheidungen überlassen. Allzu schnell ist man als Profi versucht, vorzupreschen und kommentarlos alles umzuhauen, was auf dem Platz steht. Aber insbesondere ab der vierten Partie, wenn erstmals mit voller Kartenhand gezockt wird, sollte man Einsteigern genug Zeit geben, sich mit der Auswahl vertraut zu machen.
Hat man das Trainingscamp hinter sich gelassen, nimmt die Kampagne zügig an Fahrt auf. Wie so oft geht es um nicht we- niger als die Rettung der Welt, diesmal vor einem Rudel durchgeknallter Kultis- ten, die einen finsteren Blutgott anbeten und Gloomhaven in Schutt und Asche legen wollen. Routine halt. 19 Szenarien umfasst die Hauptkampagne,
weitere sechs warten in Neben- quests auf uns. Art und Qualität
der Szenarien sind wie im Hauptspiel schwankend und stützen sich vor allem auf das übliche „Tötet alle Gegner“-Ge- metzel; gelegentlich aufgelockert durch andere Missionen. Die Spieldauer schlägt wie im Grundspiel mit 30 bis 45 Minu- ten pro Spieler zu Buche. Dass man das Spielbrett zu Beginn nicht mehr zusam- menpuzzlen muss, beschleunigt zwar den Aufbau, führt aber durch die Spiralbin- dung des Szenarioheftes zu wackeligen Auftritten der Figuren.
Der erfahrene Gloomhaven-Recke fragt sich nun, wie sich Die Pranken des Löwen im Vergleich zum Vollspiel anfühlt. Drei der vier Helden sind recht geradlinig gestaltet: Der Axtwerfer ist ein typischer Fernkämpfer, die Sprengmeisterin küm- mert sich um Hindernisse, Flächenscha- den und Nahkampf, und der Rotgardist glänzt vor allem als ausgezeichneter Tank mit ordentlich Trefferpunkten. Jeder hat ein kleines Gimmick, ist aber ansonsten Standardkost für Veteranen und vermut- lich bewusst so gestaltet, dass Neulinge nicht überfordert werden.
Einzig die Leerehüterin hat als Unter- stützerin spürbar komplexere Karten- funktionen, bei denen man oft vor das Dilemma gestellt wird, den eigenen
Verbündeten gleichzeitig Freud und Leid bereiten zu müssen „Hier Segen und Gift für dich. Viel Spaß!“, lauten an der Stelle oft die Dialoge am
Tisch.
loomhaven Light“ – geht das überhaupt? 60 statt 150 Euro,
kleinere Box, kürzere Spieldauer,
  48 spielbox
       Fotos & Scans: Rüscher / Illustrationen: Feuerland Spiele











































































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