Page 8 - Spielbox_1_2022_gesamt
P. 8

 Meinung
  Die Chance der Elefantenhochzeit
Ein Kommentar von ANDREAS BECKER
Nürnberg schluckt Essen! Was für eine Überraschung. Die Spielwarenmesse Nürnberg kaufte zum 1. Januar den Friedhelm-Merz-Verlag aus Bonn und übernimmt damit
auch die Regie für die Internationalen Spieltage in Essen. Über- raschend kommt es letztlich nicht, nur zu diesem Zeitpunkt hatte wohl kaum jemand mit der Nachricht gerechnet.
Schon vor einigen Jahren gab es wohl Verkaufsgespräche. Auch Nürnberg sei damals im Spiel gewesen, erzählen Branchen- insider. Da aber niemand anbiss, obwohl sich die Mitmachmes- se in Essen mehr und mehr von einem interessanten zu einem außerordentlich interessanten Projekt mauserte, konnte nur eines
auch unwahrscheinlich, dass die schwierigen Jahre ‘20 und ‘21 ausschlaggebend für den Verkauf waren, sondern dass es wirklich darum ging, rechtzeitig einen geordneten Übergang einzufädeln.
Da Dominique Metzler neben Florian Hess aus dem Vorstand der Spielwarenmesse-Genossenschaft weiterhin als Geschäfts- führerin des Merz-Verlages firmiert, ist auch davon auszugehen, dass sich am Charakter der SPIEL erst einmal nichts ändern wird. Gut so, sie weiß, was die Besucher und auch ihre Aussteller wol- len. Dass der Merz-Verlag eine Stelle ausgeschrieben hat, die im Grunde exakt das Aufgabenprofil von Dominique Metzler um- reißt, spricht darüber hinaus dafür, dass an der Stelle für Konti- nuität gesorgt werden soll.
Spannend wird es trotzdem, wie es weitergeht, wenn sich Messe-Macherin Metzler ganz zurückzieht. Was plant
 Die Verlagen haben nun die Chance, die SPIEL zu ihrem Vehikel zu formen und sich als Branche besser und schlagkräftiger aufzustellen.
Nürnberg dann? So ziemlich jeder in der Branche meint aber, dass beispielsweise ein Umzug von Essen nach Nürnberg kein schlauer Schachzug wäre. Essen ist auch für Besucher aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich und England gut zu erreichen, über den Flughafen Düsseldorf ist eine perfekte internationale Anbindung in der Nachbarschaft gesichert. Auch für viele Familien aus dem Ruhrpott gehört ein Ausflug zur SPIEL mittlerweile fest zum Herbstferienprogramm dazu. Das alles würde mit einem Umzug gefährdet, am neuen Standort müsste auch eine traditionell altein-
bedeuten: Der Preis war zu hoch. Das Potenzial, das in der SPIEL schlummerte, dürfte auch da schon jeder gesehen haben. Wäh- rend der SPIEL.digital sah es dann so aus, dass der Merz-Verlag ein Familienunternehmen bleibt, weil sich Dominique Metzlers Sohn Max in der Digital-Ausgabe stark in die Organisation und die öffentlichen Kommunikation einbrachte. Doch bereits im ver- gangenen Jahr spielte er in der Repräsentation kaum noch eine Rolle. Die Zeichen verdichteten sich damit wieder, dass er wohl doch nicht in die Fußstapfen seiner Mutter treten möchte.
Der Preis, den die Nürnberger für den Merz-Verlag zahlten, wurde nicht mitgeteilt, aber finanziell wird man sich um den Metzler-Clan nach diesem Deal kaum Sorgen machen müssen. Es ist schließlich auch Dominique
gesessene Messe neu angekurbelt werden.
Es gibt aber noch einen weiteren Player, der ein Wörtchen bei
der neuen SPIEL mitsprechen sollte: die Spieleverlage in Deutsch- land, Österreich und der Schweiz. Der Spielewissenschaftler Jens Junge hat in seinem Aufsatz „Quo vadis Brettspielbranche“ dar- gelegt, warum die analogen Spiele gegenüber den digitalen recht schlecht aufgestellt sind, zum Beispiel in der politischen Wahr- nehmung (die ganz handfest auch an Fördermillionen zu messen ist). Die Videospielbranche hat es geschafft, ein solides finan- zielles Fundament für ihre Verbandsarbeit zu gießen, indem sie die Gamescom in Köln selbst austrägt und mit deren Einnahmen ein 17-köpfiges Team in Berlin bezahlt, um für ihre Sache Lobby-
arbeit zu leisten. Die Brettspielbran- che ist weit davon entfernt. Junge bezeichnet den Verein Spieleverlage als „kraftlosen Verband“.
 Metzlers Verdienst, dass Essen in den Jahren vor der Corona-Pande- mie stramm auf Wachstumskurs lag, von Ausstellerrekord zu Aus- stellerrekord eilte und ganz neben- bei jährlich die Besucherzahlen exorbitant steigerte. Sicher, da mag auch einiges an PR-Folklore in den kommunizierten Daten mitge- schwungen haben, klappern gehört schließlich zum Handwerk. Wer aber im Bundesanzeiger nachblät- terte, wie der Merz-Verlag dastand, der konnte anhand von niedrigen siebenstelligen Überschüssen aus den Geschäftsjahren bis 2019 ab- lesen, dass die SPIEL ein kleiner Goldesel war. Von daher scheint es
Die Spielwarenmesse ist als Genossenschaft organisiert, die + sich aus über 150 Mitgliedern zu- sammensetzt, dazu zählen natür- lich auch Spieleverlage. Es wird spannend sein zu schauen, ob die Branche die Chance nutzt, die sie in den 90er-Jahren nach dem Tod von Friedhelm Merz verpasst hat, und die SPIEL zu ihrem Vehikel formt, um sich als Branche besser und schlagkräftiger aufzustellen. Kurz: Ob es den Verlagen gelingen wird, in diesem Punkt von den Videospie-
len zu lernen.
   6   spielbox
Fotos: Spielarenmesse eG













































































   6   7   8   9   10