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 Spiel-Film. Alle Mörder sind schon da
  Wer hat‘s getan? Na? Wer?
  Christoph Schlewinski arbeitet als Drehbuch- autor. Wenig überraschend ist er nicht nur Spiel-, sondern auch Film-Freak.
Von CHRISTOPH SCHLEWINSKI
Wenn man Cluedo verfilmt, kann dabei ja nur ein „Whodunnit?“, also ein „Wer-war‘s?“-Streifen, rauskommen, schließlich ist das der zent- rale Aspekt des Spiels. So auch bei „Clue: The Movie“, der in Deutschland als „Alle Mörder sind schon da“ 1985 in den Ki- nos lief. Mehrere Menschen folgen darin einer mysteriösen Einladung in ein ab- gelegenes Herrenhaus, bekommen vor Ort Codenamen wie „Professor Plum“ und „Miss White“ (die Original-Namen aus dem englischen Cluedo) – und dann häufen sich irgendwann die Leichen.
Damals als schwarze Komödie ver- kauft, funktioniert der Humor heute in manchen Szenen nur noch bedingt. Den- noch gibt es mehrere Dinge, die „Clue“ immer noch sehenswert machen. Da ist zum einen das wahnsinnige Tempo, mit dem die Dialoge, besonders im Show- down, geliefert werden. Es raucht einem fast schon der Kopf, wenn man mit Theo- rien und Fakten erschlagen wird.
Damit so etwas funktioniert, braucht es natürlich hervorragende Schauspie- ler. Und die hat „Clue“ massenhaft: Tim Curry (Frank N. Furter aus „The Rocky Horror Picture Show“), Christopher Lloyd (der später als Doc Brown in „Zurück in
die Zukunft“ berühmt wurde), Eileen Brennan (Oscar-nominiert als Drill Ser- geant in „Schütze Benjamin“), Lesley Ann Warren (ebenfalls nominiert als dusselige Mafia-Geliebte in „Victor/Victoria“) und allen voran: die göttliche Madeline Kahn (Filmtipp: „Is‘ was, Doc?“; wie sie darin die herrische Eunice spielt – ich könnt mich jedes Mal einnässen). Madeline Kahn war eine Meisterin der Improvisation, und eine der besten Szenen des Filmes soll von ihr aus dem Stegreif rausgezaubert worden sein, heißt es.
Das Bemerkenswerteste an „Clue“ war seinerzeit aber: Sahen den Film zwei Leu- te unabhängig voneinander im Kino und wollten sich über das Ende unterhalten, redeten sie unter Umständen vollkom- men aneinander vorbei, denn jeder von ihnen hatte ein anderes Ende gesehen. Insgesamt gab es drei davon, was dafür sorgte, dass manche Menschen immer wieder in den Film rannten, weil sie un- bedingt alle Enden sehen wollten.
Das dürfte erklären, wieso er sein 15-Millionen-Dollar-Budget fast wieder eingespielt hat, obwohl die Kritiker da- mals alles andere als begeistert waren. Erst im Laufe von Jahrzehnten bildete sich eine feste Fangemeinde, die es ge- noss, was für eine völlig irre, abgedrehte und temporeiche Farce „Clue“ ist, die mit
schauspielerischen Höchstleistungen auf- wartet.
Und was hat das alles mit dem Spiel Cluedo zu tun? Außer dass die Charakte- re so wie im Spiel heißen, gibt es im Film- Haus natürlich eine Bibliothek, ein Ess- zimmer, eine Küche, Geheimgänge, kurz: alle Orte, die es im Spiel auch gibt. Vor al- lem gibt es alle Mordwaffen: Seil, Kerzen- leuchter, Pistole, Rohrzange und so weiter. Und wenn Tim Curry im Showdown wie ein fleischgewordenes Maschinengewehr seine Theoriekugeln durch die Gegend schießt, wer wen womit und wo ermordet hat, sehe ich mich im Geiste als Zehnjähri- ger vor einer völlig abgenudelten Version von Cluedo sitzen, wie ich mit leichtem Herzklopfen meinen Mitspielern sage, wer womit und wo mordete – um dann die drei Lösungskarten aus dem abgewetzten Umschlag zu holen und festzustellen, dass ich auf meinem Lösungszettel etwas fun- damental falsch eingetragen hatte und wie der letzte Depp dastehe.
Sich „Clue“ anzugucken, ist also eine zweifache Zeitreise. Zum einen in eine Zeit, in der bei Filmen noch sehr viel Wert auf Tempo und Sprachwitz gelegt wur- de. Und zum anderen in eine Zeit, in der Cluedo richtig heißer Scheiß war. Ganz nach dem Motto: Wir hatten ja nichts. Noch nich‘ mal Catan ...
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