Page 44 - Spielbox_1_2022_gesamt
P. 44

 Kritik. Paleo: Ein neuer Anfang
Unsere kleine Farm
 Von MAREN HOFFMANN
Wie doch die Zeit rast: Seit unse- ren ersten Partien Paleo sind, schwupp, einige Tausend Jahre vergangen. Unsere Menschengruppen sind sesshaft geworden und bewirtschaf- ten einen mehr oder weniger florierenden kleinen Bauernhof. Allerdings gibt es wie- der jede Menge Probleme.
„Den größten Betrug der Geschichte” hat der Historiker Yuval Noah Harari die neolithische Revolution genannt. Diese Umwälzung in der Jungsteinzeit markier- te für die Mehrheit der Menschheit den Übergang von Jägern und Sammlern zu sesshaften Landwirten. Damit, führte Harari aus, fingen die Probleme erst an – und nach etlichen Partien der Paleo- Erweiterung Ein neuer Anfang ist man geneigt, ihm Recht zu geben.
Zur Erinnerung: In Paleo spielen wir kooperativ mehrere Menschengruppen, die gemeinsam versuchen, die Heraus- forderungen der aus verschiedenen Kar- tenmodulen kombinierbaren Szenarien zu bewältigen. Bevor es Nacht wird, muss genug Essen her, für Werkzeug und Waf- fen brauchen wir Stein und Holz; neue Kulturtechniken helfen, Unheil abzuwen- den. Sobald das aus fünf Siegpunktteilen bestehende Mammut fertig an der Höh- lenwand prangt, haben alle gewonnen.
Alle Mitspielenden haben einen eige- nen Kartenstapel und können die
eigene Aktion auch (meist) nutzen, um anderen bei deren aktuellen Vorhaben zu helfen. Der Reiz des Spiels besteht
auch aus der immer wiederkeh- renden Abwägung: Gemeinwohl oder eigener Gestaltungsdrang.
Dieses Element bleibt auch in
der Erweiterung zentral. Es kom-
men neue Module ins Spiel – und neue Menschen (darunter ein Jäger, der dem Autor des Spiels auffallend ähnelt). Neu sind auch der Bauernhof, auf dem man Tiere halten kann, und die neue Ressource Getreide. Ab jetzt müssen wir Tiere nicht gleich töten, sondern können sie einfangen und nachhaltig Nahrung erzeugen. Und wer unterm schützenden Dach schläft, erholt sich besser.
Wo das Rettende wächst, gedeiht auch das Bedrohliche. In der neuen Welt war- ten unbekannte Gefahren auf uns; ausge- büxte Ziegen sind da noch das kleinste Übel. Die 171 Karten starke Erweiterung bietet sechs neue Abenteuer, die man beliebig mit alten Modulen kombinieren kann. Das ist nicht einfach „more of the same“, sondern bietet ganz neuen Reiz.
Das Erstaunliche sowohl an Paleo als auch an Ein neuer Anfang ist die hohe Frustrationstoleranz, die in den Spielern geweckt wird. Man kann mehrfach am selben Szenario scheitern – und hat trotz- dem Lust, es sofort wieder zu versuchen. Das hat drei Gründe: Erstens hat man trotz aller bösen Überraschungen immer das Gefühl, des eigenen Glückes Schmied oder vielmehr: Faustkeilklopper sein zu können. Zweitens steigen mit wachsen-
der Erfahrung die Überle- benschancen (was auch sehr thematisch ist), weil man einige Karten schon kennt, auf die man sich
vorbereiten kann. Drittens bleibt aber lange noch genug Unbekanntes, um die Entdeckungslust zu
triggern.
Harari fand übrigens,
dass die Landwirtschaft die Menschen faul und träge und ihre Ernäh-
rung einseitig gemacht habe: „Die Jäger und Sammler ernährten sich gesünder, arbei-
teten weniger, gingen interessanteren Tätig- keiten nach und litten
weniger unter Hunger und Krankheiten“, schrieb er. Das allerdings können Paleo- Spieler so nicht bestätigen.
Was im Spiel ein wenig stört, sind Re- gelunklarheiten: Werden Leute nachts erst geheilt und leiden dann Hunger, den sie auf diese Weise gerade noch überleben können? Kann man beim Helfen wirklich alles teilen? Manches muss man lange suchen, manche Timing-Fragen sind nicht ganz eindeutig geregelt. Schlimm ist das nicht – Paleo ist so thematisch, dass man eigentlich immer richtig liegt, wenn man die schlüssigste Interpretation wählt.
Wenn Autor Peter Rustemeyer weiter- hin zwischen jeder neuen Erweiterung rund ein halbes Jahrzehntausend ver- streichen lässt, dann dürfte die über- oder überübernächste schon im urbanen Raum spielen: Wahrscheinlich kämpfen wir dann gegen SUVs und zu hohe Mie- ten und können ohne vernünftigen Kaf- fee den nächsten Tag nicht überstehen. Oder wir terraformieren bereits gemein- sam den Mars. Aber das ist eine andere Geschichte.
     42 spielbox
Titel: Autor: Illustration:
Verlag: Personen: Alter: Dauer: Preis:
Paleo: Ein neuer Anfang Peter Rustemeyer Dominik Mayer, Ingram Schell
Hans im Glück
2 – 4
ab ca. 10 Jahren ca. 45 – 60 Minuten ca. 30 Euro
Kritiker
Maren Hoffmann
Udo Bartsch
Spielreiz
9
7
Für Paleo ein gelungener zweiter Schritt.
      Fotos: Hoffmann
 



























































   42   43   44   45   46