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    1969 wurde er in Bad Wildungen ge- boren, eine nordhessische Kleinstadt, Fachwerk-Urigkeit, ein bisschen Kurort- Spießertum. Früh entdeckte er Musik für sich. „Mit 14, 15 Jahren habe ich kapiert, wie man Harmonien aufbaut.“ Mit zwei Kassettenrekordern produzierte er selbst mehrstimmigen Harmoniegesang. „In meinem Jahrgang fand ich niemanden, der mit mir Musik machen wollte.“
Auf einer Party, bei der auch ein paar Typen aus Bielefeld aufkreuzten, traf er endlich auf Gleichgesinnte. Es war die Geburtsstunde von „The Crystalairs“. Seit 35 Jahren gibt es sie jetzt schon. Viel Harmonie-Gesang, meist a cappella, Ro- ckabilly, Doo Wop, American-Car-Treffen, Rock-‘n‘-Roll-Partys, die ganze Palette. Die „Straßenköter-Combo“, wie er sie nennt, ist in der Szene bekannt.
Die Band war auch der Grund, weshalb es zur Linde nach Bielefeld zog: Zivil- dienst in einer Klinik für Psychotherapie stand an. „Als dann die Frage aufkam, was ich studieren wollte, habe ich mich einfach mit einem Kumpel zusammen eingeschrieben.“ So wurde es Mathema- tik auf Grundschullehramt.
Es war eine Zeit, in der viel Neues in zur Lindes Leben passierte. 1992 veröffent- lichte er, der schon immer liebend gern gespielt hat und wie wohl jedes Kind seiner Generation unter anderem durch Malefiz-Partien gegen Oma spielerisch sozialisiert wurde, zusammen mit Michael Hageböck Marino. In einem Verlag, den heute kaum noch jemand kennt: VSK Er- wachsenenspiele. Es folgten Zankapfel (1993) und zusammen mit Ralf E. Kahlert Tahiti, 1995 bei Franjos veröffentlicht. Aber dann riss dieser Faden ab, erst 14 Jahre später nahm er ihn wieder auf.
„Ich war mit großer Leidenschaft Ma- thematik-Didaktiker. Ich fragte mich, wie man die mathematischen Lernprozesse auf einer digitalen Plattform umsetzen könnte.“ Erste Programmiererfahrungen hatte er als Jugendlicher gesammelt, C64, C128, der typische Basic-Grundkurs Ende der 80er-Jahre. „Mir war dabei vor allem der mediendidaktische Mehrwert wichtig. Der Bildschirm sollte also mehr leisten können als ein Buch oder die Tafel im Klassenzimmer.“
Als Lehrer programmierte er für seine Klasse eine Software – zu einer Zeit, als in NRW Computer in Grundschulen noch verboten waren. Ralf zur Linde muss la- chen. Kann man sich ja heutzutage gar
nicht mehr vorstellen. Aber ihn konnte das nicht aufhalten. Von der Sparkasse organisierte er ausrangierte Rechner und legte los. „Erst haben nur wir das Pro- gramm genutzt, dann unsere Nachbar- klasse. Es folgten unsere Nachbarschule, die ganze Stadt, schließlich NRW, Hessen, die Schweiz.“ 2004 gab es für „Pushy“ den Deutschen Bildungssoftware-Preis, die von ihm entwickelte Lernwerkstatt Grundschule gehört zu den meistverkauf- ten Lernprogrammen überhaupt.
So war neben dem Digitalen kein Platz fürs Analoge. Zumal noch ein Projekt dazu kam: Fincallorca. Was ohne „Pushy“ nicht möglich gewesen wäre. „Wir haben uns von dem Geld eine Finca auf Mallorca gekauft“, erzählt zur Linde. Ursprünglich, um das eigene Haus zu vermieten. Aber dann sprach er andere Finca-Besitzer an, ob sie nicht auch mitmachen wollten. „Ich spreche Spanisch, aber noch wichti- ger: Ich spreche auch mallorquí“, erzählt er. Was im ländlich geprägten Hinterland wichtig war. So gewann er auch Einheimi- sche für das Portal. „Wir waren für Mal- lorca die Nummer eins“, erzählt er, rund 70 Prozent Marktanteil. Seit 2015 lebt er mit seiner Familie auf der Balearen-Insel.
Ende der 10er-Jahre kam dann sein Comeback in der Spieleszene. Und zwar eindrucksvoll: Mit Wolfgang Sentker ent- wickelte er Finca, das bei Hans im Glück erschien und direkt zum Spiel des Jahres nominiert wurde. Das Team von cliquen- abend.de kam dann auf die Idee, ein Er- klärvideo auf Mallorca zu drehen, in zur Lindes Finca. Dabei wurde eine Tradition geboren: Ein jährliches Treffen auf Mal- lorca, eine Woche spielen mit ein paar Leuten aus der Szene. Das „Gathering of Friends“ ist für Autoren und Redakteure
ein Pflichttermin, um sich auszutauschen, Prototypen kennenzulernen, nach Perlen zu tauchen.
Mit Sentker zusammen erfand zur Linde ein paar Jahre nach Finca noch Animals on Board (2016), das von der Jury empfohlen wurde. Zudem gab es einige Spiele mit Stefan Dorra. „Wir kennen uns noch aus Uni-Zeiten“, erzählt zur Linde. Ihr Eselsbrücke (2011) wurde ebenfalls zum Spiel des Jahres nominiert. „Mandoo Games bringt es jetzt neu raus, rein als Kartenspiel, ganz reduziert.“
Der Ansatz gefällt ihm. Ralf zur Linde versucht ja selbst, von Beginn an maxi- mal zu reduzieren. An rund zehn Spielen arbeite er gerade. Über neue Ideen brütet er dabei meist am Strand. „Ich schnappe mir den Hund, gehe runter, höre das Meer rauschen und lasse meine Gedanken trei- ben, denke über Mechanismen nach. Das ist für mich echte Genusszeit.“
     Titel: Autoren: Illustration: Verlag: Personen: Alter: Dauer: Preis:
Less Is More Ralf zur Linde Matt Naylor Ravensburger 3 – 6
ab ca. 10 Jahren ca. 20 Minuten ca. 27 Euro
spielbox   9
  


















































































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