Page 8 - spielbox 03/21 - Deutsch
P. 8

 Meinung
  Renaissance der Familie
 Ein Kommentar von HARALD SCHRAPERS
Je länger die Pandemie dauert, desto mehr scheint die Spiele- szene unter den Einschränkungen zu leiden. Wer das Brett- spiel als Hobby betreibt, muss auf vieles verzichten. Die etablierten Verlage melden hingegen zum größten Teil andere Eindrücke: Umsatzsteigerungen, und zwar in durchweg zwei- stelliger Höhe. Ganz offensichtlich wird wieder mehr im eigenen Haushalt, zumeist also der Familie, gespielt. Was heißt diese Be- sinnung auf das Familiäre für das Kulturgut Spiel?
Hierzulande war der Aufschwung des Brettspiels davon ge- kennzeichnet, dass er in einer Zeit an Fahrt aufnahm, in der Deutschland die niedrigste Geburtenrate weltweit verzeichne- te, den 90er-Jahren. Damals haben wir gelernt, dass man auch ohne Kinder ganz vorzüglich spielen kann. Statt im Kinderzimmer richtete sich das Gesellschaftsspiel in den Studierenden-WGs ein und wird auch dort während Corona mehr denn je auf den Tisch
cord und Twitch beschäftigt war, und fragt nach einem Brettspiel. Das hat er früher nie gemacht, früher musste er gebeten werden. Außerdem sind Familien in der Pandemie tendenziell größer ge- worden. Studierende hatten keine Präsenzveranstaltungen und kehrten nach Hause zurück. Andere waren erst gar nicht ausge- zogen.
Während das Spielen mit Bekannten, mit denen man das ge- meinsame Hobby teilt, in der Pandemie verloren hat, nimmt das Spiel in der Familie einen sehr großen Raum ein. Aber heißt das, dass das Familienspiel gewonnen hat? Der Typ Spiel, der früher mit einem Pressefoto vermarktet wurde, auf dem die Musterfami- lie – Papa, Mama und zwei Kinder – abgebildet war? Sicherlich nicht. Damals ging man davon aus, es sei ausgeschlossen, dass Jugendliche etwas so Uncooles tun, wie Brettspiele mit den El- tern zu spielen. Diese Zeiten haben sich geändert, das Bild der vierköpfigen „Normalfamilie“ taucht nur noch selten auf. Soziolo- ginnen berichten, dass die kulturellen Differenzen zwischen den
Kaum etwas schien für Jugendliche uncooler, als Brettspiele mit den Eltern zu spielen. Diese Zeiten haben sich geändert.
Generationen über die Jahrzehnte geringer geworden sind. Und auch Jugendliche haben mitgekriegt, dass Brettspiele mitnichten Kinderkram sind.
Natürlich haben es Spiele mit leichtem Einstieg ein- facher, verkauft zu werden. Das war schon vor der Pan- demie so, denn auch im Kreis mit Bekannten, Nachba- rinnen oder Kollegen sind einfache Titel beliebt. Längst ist klar, dass das generationsübergreifende Familienspiel in der Realität eine breite Spanne umfasst – vom Kin- derspiel bis hin zum Kennerspiel. Denn jede Familie ist anders. Nur die Expertenspiele haben es schwer und tun oft gut daran, in Coronazeiten einen Solomodus zu ha-
gebracht. Gleichzeitig feiert das Spiel in der Familie eine Renais- sance. Die Geburtenrate ist in den vergangenen Jahren wieder angestiegen, und die Pandemie sorgte dafür, dass wir alle enger zusammenrücken mussten. Das Brettspiel konnte seine Stärke ausspielen: niedrigschwellig auch diejenigen Menschen errei- chen, die gern etwas zusammen unternehmen.
Der Eindruck trügt, dass die Pandemie dafür gesorgt hat, dass mehr Zwei- oder gar Ein-Personen-Spiele nachgefragt werden. Natürlich gab es auch in diesem Segment höhere Umsätze. Aber die ganz großen Umsatzsprünge lassen sich damit nicht erklären. Offensichtlich hat auch das Multi-Player-Spiel gewonnen. Was leicht zu erklären ist. Zwar sorgte Corona für Kontaktbeschrän- kungen nach außen. Aber im Umkehrschluss heißt das: Im eige- nen Haushalt
sind immer alle da. Niemand ist verabredet, keiner geht abends aus. Plötzlich taucht sogar der Sohn auf, nachdem er stundenlang hinter seinem Monitor mit Distanzunter- richt, Fifa, Dis-
ben. Damit man sich auf die Nach-Corona-Partien freuen kann, auf die man mangels weiterer Expertenspielerinnen im eigenen Haushalt verzichten muss.
Der pandemiebedingte Verlust an „Events“ aller Art, die mit dem Spiel zusammenhängen, ist schmerzlich. Doch im Unter- schied zu manch anderem Kulturgut hat das dem Brettspiel im Grunde nicht geschadet. Das Medium Spiel braucht keine vollen Theatersäle. Gleichzeitig entzieht es sich der Konkurrenz mit Net- flix, Videospielen und Büchern. Es hat als Gemeinschaftserlebnis ein Alleinstellungsmerkmal. Das Brettspiel wird als Kulturgut da- von auch langfristig profitieren. Nicht alle werden dem neu- oder wiederentdeckten Spiel die Treue halten. Aber der Großteil wird das gemeinsame Spielen auch künftig nicht missen wollen.
Es gibt ihn noch, den Typ Spiel, der früher wie heute mit einem Pressefoto vermarktet wurde und wird, auf dem eine Musterfamilie Spaß hat. Die Grün- de für die Renais- sance des Spiels
in der Familie sind aber vielfältig.
  6   spielbox
Fotos: Ravensburger Verlag, Schrapers
















































































   6   7   8   9   10