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PANORAMA Secret Hitler
Werwolf mit Schnauzer
Bis auf Konfliktsimulationsspiele, die vor allem im Ausland seit jeher ihre stärks- ten Umsätze erzielen, wird die Zeit des Nationalsozialismus in Spielen nicht the- matisiert. Das liegt nicht nur daran, dass die Distribution in Deutschland prinzi- piell erschwert ist, sobald nationalsozialistische Symbole verwendet werden, wie seinerzeit die Beschlagnahme des MB-Titels Axis & Allies aus der Gamemaster- Serie durch den Zoll bewies, der Anstoß an der abgebildeten Hakenkreuzfahne auf dem Cover nahm.
wirft eines verdeckt ab und
reicht die beiden anderen dem Kanzler, der wiederum eines entfernt und das andere offen auslegt. Sobald fünf libe- rale Gesetze oder sechs faschistische in Kraft getreten sind, hat die entsprechen- de Partei gewonnen. Die Gesetze selbst enthalten keinen Text. Indes verleihen die faschistischen dem Präsidenten je nach Zeitpunkt ihres Auftretens eine kon- krete Macht, etwa die Verifizierung der Identität eines Teilnehmers oder dessen Exekution. Davon leiten sich die beson- ders bedeutsamen alternativen Siegbe-
dingungen ab. Denn wird Hitler irgendwann nach dem dritten faschistischen Gesetz zum Reichskanzler ernannt, tragen die Nazis den Sieg da- von, während sie sofort unter- liegen, sollte Hitler ermordet werden. Daher könnten sub- tilerweise auch die Liberalen ein Interesse an faschistischer
Gesetzgebung haben.
I Kann qua Sticker
zu Trump mutieren
Wie alle Spiele dieses Genres lebt
auch Secret Hitler von geschickter Ver- handlung, Argumentation, Verstellung und Einschätzung. Die Faschisten ha- ben kaum die Chance, mit offensiver Taktik zu gewinnen, sondern sollten anfangs durchaus eine liberale Ge- setzgebung unterstützen, damit auf sie kein Verdacht fällt. Zum gelungenen Spannungsbogen trägt die Tatsache bei, dass jede Partei bis zuletzt auf den Sieg hoffen kann. Manch einer ist so gefesselt, dass er gerne einem Spieleabend bis tief in die Nacht beiwohnt, an dem eine Par- tie nach der anderen absolviert wird.
Die legale Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ging mit viel Verrat und Opportunismus einher, was sich in der thematischen Umsetzung exzellent widerspiegelt. In einem separat publi-
zierten 28-seitigen Beiheft wird ähnlich einer Graphic Novel ein geschichtlicher Abriss geliefert, der in einem stellen- weise spöttischen und sarkastischen Stil sehr gut nachvollziehbar den Auf- stieg der NSDAP schildert. Zugleich ermöglichen beigelegte Aufkleber, die eigene Secret Hitler-Schach- tel in eine „Secret Dictator“-Box
Obwohl man seitens der Plattform Kickstarter, auf der Secret Hitler letztes Jahr sehr erfolgreich ver-
marktet wurde, von der Titelbezeichnung abriet, ließen sich die Autoren nicht beir- ren. Sie nehmen in Kauf, dass ihr Werk von manchen allein wegen dieses Namens abgewehrt wird und die Bereitschaft fehlt, sich mit einem derartigen „Mach- werk“ weitergehend auseinanderzuset- zen. Auch ich musste diese Erfahrung
machen, sodass ich in mancher Run- de den Karton wieder ungeöffnet vom Tisch nehmen und einpacken musste. Solch vorurteilsbehaftete Einstellungen sind sehr zu bedau- ern, jedoch ist niemand zu seinem (Spieler-)Glück zu zwingen. Auf der anderen Seite erweckten die Her- ausgeber mit solcherlei Provokati- on eine so hohe Aufmerksamkeit, dass den Verweigerern ungleich mehr Neugierige entgegenste- hen, die sich ansonsten kaum damit be-
fasst hätten.
Worum handelt es sich denn nun? Schon
aus der Angabe der Teilnehmerzahl, die fünf bis zehn beträgt, lässt sich vermuten, dass uns hier ein weiterer Vertreter der zahlreichen Werwolf-Derivate vorliegt, genauer gesagt der 24-Stunden-Gattung. Während die ursprüngliche Idee mehr- mals eine Nachtphase, in der partiell
Informationen über Iden- titäten wei-
tergegeben werden oder geheime Hand- lungen von Unbekannten erfolgen, mit einer offenen Tagphase alternieren lässt, hat sich seit einigen Jahren
ein Sub-Genre herausgebil- det, das beispielsweise von Der Widerstand (Resistance) oder Vollmondnacht reprä- sentiert wird und nur zu Be- ginn der Partie nächtliches Treiben erfordert.
In unserem Fall treten
die zahlenmäßig überlege-
nen Liberalen gegen die Faschisten an, darunter Hitler. Dieser kennt (ab sieben Teilnehmern) vorab keine fremde Gesin- nung, während seine Bündnisgenossen voneinander und von ihm wissen. Die Liberalen hingegen, die hier den braven Dorfbewohnern, also den Guten, entspre- chen, starten in die Partie, ohne irgendei- ne andere als die eigene Identität zu ken- nen. Zunächst schlüpft ein Teilnehmer in die Rolle des Präsidenten und schlägt vor, wer in der kommenden Gesetzesrunde Reichskanzler werden soll. Dabei darf er den zuletzt gewählten Präsidenten oder Kanzler nicht in Betracht ziehen. Lehnt eine Mehrheit den Vorschlag ab, geht das Vorschlagsrecht an den linken Nachbarn.
Andernfalls zieht der Präsident drei Gesetze vom
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