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 Hoffmanns Heimspiel
Das Ziplock-Syndrom
„Die hier tu ich mal ins Altpapier“, sagte mein Mann und griff nach den bunt bedruckten Sichtschirmen
unseres neuen Gutenberg.
„Halte ein, Wahnsinniger!“, schrie ich. „Was tust
du?!“
„Hey, beruhig dich, die sind doppelt drin. Das hier sind nur
die mit der Regelübersicht auf Polnisch. Die englischen sind noch in der Schachtel.“
„Aberaberaber“, stotterte ich, „wir können doch nicht
einfach so völlig intakte Sichtschirme aus einem flammneuen Spiel wegwerfen!“ Mein Mann schaute mich an. Mit diesem Blick. „Das wäre doch einfach voreilig“, versuchte ich, ihm die Dringlichkeit meines Anliegens zu verdeutlichen, „wer weiß, wozu die noch gut sind! Es gab da mal diesen Mann, der aus dem Koma erwachte und danach nur noch Französisch sprach ...“
„Die hier sind auf Polnisch“, beharrte mein Mann ungerührt, „und ich liege nicht im Koma.“
„Aber vielleicht lernen wir mal eine nette polnische Familie kennen“, flehte ich, „wie sieht das denn aus, wenn wir dann keine Gutenberg-Sichtschirme in ihrer Sprache haben!“
Ich rannte zur Altpapiertonne. Ich fand einen kompletten englischen Kartensatz aus Concordia (den deutschen hatten wir), halb verdeckt von einer Tiny-Towns- Schachtel und einer 5-Minute-Dungeon-Verpackung
– Erweiterungen, die problemlos ins Grundspiel gepasst hatten. Ich rettete alles. Schachteln braucht man doch immer! Schon um die vielen, vielen seltsamen kleinen Funktürme und
durchsichtigen neongrünen Mini-Zombies aus alten Pandemic- Legacy-Spielen aufzubewahren.
Okay, mir ist auch klar, dass ich in den vergangenen Jahrzehnten relativ selten in Situationen gekommen bin, die durch eine Horde winziger Plastikzombies signifikant hätte verbessert werden können. Aber man weiß ja nie. Genauso
ist es mit Spielplänen: Etliche Spiele haben wir auf herrliche Neopren-Playmats upgegradet, aber was machen wir jetzt mit den Pappdingern?
Wenn die Spielepolizei mich dabei erwischt, wie ich einen völlig intakten Terraforming-Mars-Plan ins Altpapier stecke, werde ich doch für mindestens 500 Generationen gesperrt! Wenn es nur eine Geldstrafe wäre, könnte ich die allerdings problemlos bezahlen – mit den Säcken voller gebunkertem Pappgeld, das wir durch die Metallmünzen der De-Luxe- Editionen ersetzt haben.
Zu einem echten Problem haben sich auch Plastiktütchen entwickelt. Denn fast jedem Spiel liegen viel zu viele bei, flammneu, tadellos, die kann man doch nicht einfach wegschmeißen! Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, Gästen die Kekse zum Tee in hygienischen Einzeltütchen zu servieren und von beliebten Teesorten ungefragt Pröbchen in Ziplock-Beutelchen auszuteilen. „Hast du diese ganzen Erweiterungsschachteln wieder reingeholt und mit Tütchen gefüllt?“, fragte mein Mann vorwurfsvoll. Ich verbarg mich hinter zwei polnischen Sichtschirmen.
Text: Maren Hoffmann•Illustration: Anna Breitling-Stenner
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