Page 58 - spielbox 03/21 - Deutsch
P. 58

 Zum Schluss. Tischmanieren
  Schokofondue „O an Steingolem
h. Ich dachte, wir machen einen richtigen Alibi-Schüsselchen mit Knabbergemüse hin – aber das Spieleabend.“ Enttäuscht glitt der Blick unserer machen wir nur, damit die Gäste denken, dass wir auch
Tochter über unseren bettgroßen Tisch, auf dem mal Gemüse essen. Brettspiele werden mittlerweile von der
ein stattliches Setup harrte: Fein aufgebaute Weltgesundheitsorganisation als ernstzunehmender Risikofaktor modulare Spielpläne, Schadensmarker in für Herz-Kreislauf-Erkrankungen . . . – okay, das war gelogen.
gedrechselten Olivenholzschälchen, handbemalte Miniaturen Aber Sie erkennen den Punkt, nicht wahr?
 mit Metallapplikationen, geordnete Kartenstapel, für jeden ein Glas Wasser auf einem ebenso dekorativen wie saugfähigen Untersetzer.
„Wieso, was fehlt denn?“, stellte ich mich absichtlich doof. Die Tochter riss die Augen auf und guckte niedlich. Damit hatte sie mich. Ich ging also in die Küche und schleppte herbei, was, wie wir beide wussten, diesen Spieleabend erst zu einem richtigen Spieleabend machen würde: eine Schüssel Kartoffelchips, der Einfachheit halber gleich mit untergemischten Erdnussflips.
Eine Packung Pralinen. Eine 300-Gramm-Tafel Nussschokolade. Gummibärchen. Salzstangen. Cola. Kekse. Im Grunde wollte ich es ja auch.
Es gibt Spieler, die halten Essen aus Prinzip vom Spieltisch fern, damit nichts Schaden nehmen kann. Leute, die auch grundsätzlich alle Karten sleeven, Regelhilfen laminieren und wahrscheinlich sogar Pöppelschoner kaufen würden, wenn es welche gäbe.
Und dann gibt es Leute wie uns, deren Kalorienaufnahme
in umgekehrtem Verhältnis zum spielimmanenten Nahrungsangebot steht – ausgerechnet bei Spielen wie Robinson Crusoe oder Paleo, wo am Ende der Runde tot ist, wer nichts auf der Gabel hat, futtern wir, bis die Schwarte kracht. Wenn wir Gäste haben, stellen wir meist noch einige
Und wir passen natürlich schon noch ein bisschen auf.
Also nicht auf unsere Ernährung, natürlich. Dieser Zug ist abgefahren. Aber auf unsere kostbaren Spiele. Neulich waren wir mal wieder in Gloomhaven unterwegs, der Feinde waren viele, und was macht unser Freund Martin? Geht erstmal in
die Küche. Kommt wieder mit, ich denke mir das nicht aus, einem Schüsselchen geschmolzener Schokolade, die noch vom Kuchenbacken übrig war, und beginnt, gefährlich nah am Rand des Schlachtfelds, ein kleines Schoko-Fondue aufzubauen. Sie kennen das: Der Typ, der auch bei klebrigen Süßgetränken das Glas zum Nachfüllen fröhlich genau über den Spielplan hält und dann „Oh, hoppala“ sagt, wenn völlig nicht überraschend etwas daneben geht. Der Typ, bei dem man nicht nur die Karten sleeven, sondern am liebsten den gesamten Spieltisch mit Frischhaltefolie überziehen will, ehe die Partie losgeht.
„Wollt ihr auch? Schmeckt super“, mampfte Martin und wischte lässig einen Schokospritzer von einem Elite-Steingolem. „Ach danke, nein“, heuchelte ich und biss demonstrativ in
ein Möhrenstänglein. Nach einigen Sekunden angespannter Stille gab Martin auf: „Ich bring das mal wieder in die Küche, nicht, dass hier noch was passiert.“ Ich seufzte erleichtert
und schenkte mir noch eine Cola ein. Leider bekam mein Heldentableau auch einen Schluck ab.
Text: Maren Hoffmann •Illustration: Anna Breitling-Stenner
56 spielbox
  














































































   56   57   58   59   60