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PORTRÄT Rüdiger Koltze
Kuhhändler und Millionenspieler
Wer die ansteigende Schlaglochpiste in den kleinen Weiler Bettenro-
de überstanden hat, landet auf einer idyllischen Ebene, ehemalige
Feldmark des nahegelegenen Benediktinerklosters Reinhausen. Rüdi-
ger Koltze wohnt abseitig im ehemaligen Zonenrandgebiet zwischen Göttingen und Heiligenstadt. Am Ortsschild die Warnung, „Achtung
Pferde! Bitte langsam fahren“, die Koppeln ringsum scheinen ausschließlich Reit- und Dressurpferden vorbehalten. Die wenigen Häuser dominiert der Hof Bettenrode des Pferdewirtschaftsmeisters Philipp Hess, der dort knapp einhun- dert Pferde hält.
Schnell stellt sich her- aus, dass es nicht die Hähne, Gänse und Pferde von Bettenrode waren, die in den Kuhhandel einflossen, sondern Käfer und Enten führten ihn zum Opel Rekord, spä- ter auch zum Mercedes 300 und Porsche 911. „Für sechs DM bekam ich meinen Gewerbeschein vom Rathaus Schöne- berg und war Autohändler.“ Nachdem er als erstes seinen VW-Käfer verkaufte, lief das Geschäft bald auf Hochtouren. Er kaufte auf, ließ Unfallwagen reparieren und wurde immer exklusiver mit seinen Angeboten. „Und das alles von meiner Studentenbude aus.“ Heute sei er noch in Berlin als „Stubenhändler“ bekannt. Ohne Laden, ohne Personal verkaufte er seine Gebrauchtwagen von der Straße weg, dort waren die Koltze-Autos alle geparkt. Damit wuchs seine Gewinnmarge, sodass er zumindest bis zur Benzin-Krise 1973 gar nicht mehr ans Studieren dachte, es sei ihm richtig gutgegangen. Mit der Kri- se kamen der Abverkauf seines Fahrzeug- parks und die Rückbesinnung auf den
vom Vater erwünschten Abschluss. Gleichzeitig begann Koltze mit dem Ent- wurf erster Spielideen. Große Unterstüt- zung bekam er dabei von Peter Pallat, der damals noch in Göttingen lebte. „Pallat war auf seine alten Tage mein Nestor. Er hat mich ganz sorgfältig beraten, sodass ich mit meiner ersten Idee, dem Millio- nenspiel, gut vorbereitet nach Nürnberg fahren konnte.“ Das Würfelspiel, bei dem durch Wetteinsätze einfache, zehnfache und hundertfache Gewinne häufigen Ver- lusten gegenüberstanden, besaß Anfang der 80er Jahre einen großen Zocker-Reiz, als besonders wurde damals empfunden, dass alle nur eine Figur gemeinsam über den Rundkurs führten. Koltze stellte seinen Prototyp Redakteuren von Ravensburger vor, die nach zehnminütigem Anspielen In- teresse zeigten. 1982 landete Koltzes Erst- ling auf der damaligen Auswahlliste der Jury „Spiel des Jahres“. In der SpielBox war zu lesen, dass das Millionenspiel originel-
Rüdiger Koltze, der auf einem gro- ßen Grundstück vor dem Pferde- hof lebt, hat es eher mit kleinem
Federvieh. Da kräht der Hahn, viel häu- figer schnattern aber Kanadagänse und seltene Haubengänse, die Koltze als Bet- tenroder Haubengans bezeichnet. Zwei gesunde Bienenvölker hält der Spieleau- tor auch, da er über eine große Streuobst- wiese verfügt. Auf der einen Seite hat der Naturfreund viele Tiere, verfügt an- dererseits aber über einen beachtlichen kleinen Fuhrpark, vom Minibagger bis zum großen Sitzrasenmäher ist alles da- bei. Er selbst bewegt sich auf dem großen hügeligen Gelände mit einem Segway vorwärts, mit dem er auch zur Begrüßung anrauscht, bevor ich für das Gespräch zu einer großen Gartenlaube mit offenem Kamin geführt werde.
I Große Kiste mit Prototypen und Entwürfen Koltze ist gut präpariert, Kaffee, Ku-
chen und Kuhhandel in allen Variationen vom Prototyp über die erste Kleinaufla- ge bis zu unterschiedlichen Ravensbur- ger-Ausgaben liegen bereit, daneben eine große Kiste mit weiteren Prototypen und Spielentwürfen. Zum Fragen komme ich gar nicht, Koltze sprudelt los, erzählt
von den Millionen verkaufter Spiele,
die rund um den Globus Verbreitung ge- funden hätten, ihm lägen Bilder vor, auf denen sogar Inuits Kuhhandel spielen. All das habe ihm in den letzten dreißig Jahren eine Million an Tantiemen einge- bracht, aber nun sei Schluss. Auf meine erste Frage dazu stellt sich heraus, dass er sich vor zwei Jahren hat abfinden lassen auf seine „alten Tage“. Er habe keine Fa- milie, keine Kinder, deshalb habe er diese Lösung bevorzugt.
Naheliegend wäre jetzt die Vermutung, Kuhhandel sei ein typisches Produkt dieser Landschaftsidylle von Bettenrode. Koltzes Schilderungen über seinen Wer- degang entlarven aber bald dieses ro- mantische Bild als Täuschung und zeigen viel profanere Ursachen auf. Der Autor kam im vorletzten Kriegsjahr in Posen zur Welt, dorthin war seine Mutter, die Modezeichnerin war, zur Arbeit in einer Uniformfabrik zwangsverpflichtet wor- den. Als die Russen anrückten, gelang es dem Vater, seinen Neugeborenen und seine Frau aus Posen in ihre eigentliche Heimat nach Göttingen zu bringen. Dort ging er dann zur Schule, legte mit einer klassischen altphilologischen Ausbildung sein Abitur ab.
Nach einem Studium Generale in Freiburg begann er Mitte der 60er Jah- re ein Maschinenbau-Studium in Berlin, das sich bis in die 80er Jahre hinzog. „Letztlich habe ich trotz guten Examens nicht einen Tag meines Lebens in dem
studierten Beruf gearbeitet.“ Er sei zu selbständig gewesen. Hat wohl auch schon während seiner Studienjahre ständig Betätigungsfelder gefun- den, die sich durchaus als lukra-
tiv erwiesen.
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