Page 8 - spielbox special 2020
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 HERBSTNEUHEITEN 2020
Deep Print Games
Wenn Fauna und Flora zusammenwirken, um ein heruntergekommenes Fleckchen Erde zurück in die wunderbare Flussaue zu verwandeln, die es einmal war, ergä- be dies ein prima Lernspiel für den NA- BU-Nachwuchs. Da Renature aber von Michael Kiesling und Wolfgang Kramer, stammt, richtet es sich eher an eine er- wachsene Klientel, eine spielerfahrene zudem. Die Fauna wird vertreten durch Spezies wie Dachs, Salamander, Uhu oder Schwarzspecht. Zehn Arten finden sich auf Dominosteinen, die man in typischer Weise aneinanderlegt. Untypischerweise sind sie nur Mittel zum Zweck. Er besteht darin, Tierpaare derart auf Wasserfeldern zu platzieren, dass trockene Gebiete zum richtigen Zeitpunkt gänzlich umschlossen werden, was proportional zur Gebietsgrö- ße honoriert wird.
Natürlich hat man nicht immer die passenden Tierpaare auf der Hand, um den Sack tatsächlich zuzumachen, oder man liegt im Gebiet punktemäßig mit jemandem gleichauf, was die am Patt Beteiligten aus der Pflanzenwertung ka- tapultierte, womit wir bei der Flora wären. Jeder hat einen eigenen Satz von entspre- chenden Meeples zur Verfügung. Diese sind zwar hübsch geformt und farblich gut unterscheidbar, aber an blaue Eichen muss man sich erstmal gewöhnen. Davon abgesehen ist gegen Eichen nichts ein- zuwenden. Sie sind hier die wertvollsten Gewächse und bescheren einem beim Setzen vier Punkte plus den Wert aller anderen Pflanzen im selben Gebiet. Gras hingegen hat mit 1 den niedrigsten Wert und punktet ausschließlich für bereits anwesende Gräser. Beim Pflanzen – was nur neben dem gerade platzierten Tierdo- mino geschehen darf –, würde man ver- ständlicherweise am liebsten immer nur zu Eichen greifen. Geht aber nicht, denn man hat nur zwei – Gras hingegen neun- mal plus etliche Kiefern und Büsche. Alles wartet aufgereiht auf dem persönlichen Tableau, wo es am Schluss, wenn die Do- minos ausgegangen sind, verschwunden sein sollte. Andernfalls setzt es dem Wert entsprechende Minuspunkte.
Die Erfahrung der Autoren zeigt sich daran, dass aus überwiegend konventi- onellen Zutaten kombiniert mit ein paar cleveren Kniffen – beispielsweise dass bei jedem neben Pflanzen der eigenen Farbe auch neutrale auf dem Tableau starten – etwas durchaus Unkonventionelles ent-
standen ist, bei dem auch noch Thema und Ablauf gut zueinander passen.
Wie beim Verlagserstling Renature, geht es auch bei Kyoto um etwas Rele- vanteres als das für unser Hobby typische Mittelaltergedöns. Sollte womöglich das der rote Faden dieses neuen Verlagspro- jektes sein? Die japanische Stadt kommt hier jedenfalls nicht in ihrer ehemali- gen Funktion der kaiserlichen Residenz vor, sondern als Gastgeber der ersten Weltklimakonferenz. Damals ein erster Schritt in die richtige Richtung, fragt sich im Nachhinein, warum nicht genügend weitere gefolgt sind. Die Antwort liefert das Spiel fast automatisch, setzt es doch die Teilnehmer dem elementaren gesell- schaftlichen Spannungsfeld zwischen Ge- mein- und Eigenwohl aus. Wie 1997 beim zähen Ringen um Zielwerte sind Verhand- lungen das A und O; wer Kuhhandel nicht mag, ist hier fehl am Platze, auch wenn pro Runde für Absprachen gerade einmal 90 Sekunden vorgesehen sind.
Um etwas zu erreichen, braucht es Machtmittel (zu denen nicht gehört, den Schulbesuch zu verweigern, Greta); denn es gilt, Verzicht durchzusetzen und Millio- nenbeträge in die Hand zu nehmen, hier in Form von Geld- und Wohlstandskarten. Diese können die Spieler lockermachen, nachdem vom aktuellen Konferenzvorsit- zenden eine Studie vorgelesen wurde. Sie nennt ein Reduzierungs- oder Sanierungs- ziel sowie den Kostenrahmen und gibt die drohenden Auswirkungen an – aber nur zum Teil, allein der Vorsitzende kennt den vollen Umfang des Schadens. Angesichts der Teilinformation kann jedes Land ei- nerseits Geld und bis zu zwei Wohlstands- karten beisteuern, andererseits andere Länder durch Überreden oder Schmieren zu einem Beitrag bewegen – oder dazu, einen versprochenen zurückzuziehen. Warum Letzteres? Weil jeder geheimen Strippenziehern folgt, also etwa auf der Gehaltsliste der Öllobby steht. Dies wür- de dem Land am Schluss fünf Siegpunkte bescheren, es aber zugleich einen Punkt für jedes Ölsymbol kosten, das auf den von der Gemeinschaft geopferten Wohl- standskarten zu sehen ist.
Sobald alle 24 Studienkarten abge- handelt wurden, ohne dass ein Umwelt- bereich die kritische Schwelle überschrit- ten hat, war die Konferenz erfolgreich. Andernfalls ist sie gescheitert. So oder so darf jedes Land all jene Wohlstandkarten, die es aufgespart oder durch Bestechung
erhalten hat, zu den Punkten aus seinen beiden geheimen Agendakarten addie- ren; mehr Geld als die anderen übrig zu haben, wird ebenfalls belohnt. Blöd nur, dass im Fall des Scheiterns der Konferenz das Land mit den meisten Punkten ver- liert, und statt seiner das zweitbeste ge- winnt. -mh
dlp
Was Remember our Trip angeht, beste- hen Kyoto und Singapur gleichermaßen aus Hotels, Parks, Restaurants, Geschäf- ten und Sehenswürdigkeiten – nur dass sie jeweils unterschiedlich angeordnet sind. Wie genau, daran erinnert man sich nach einiger Zeit sowieso nicht mehr, und darum geht es hier thematisch. Spielme- chanisch versucht jeder, auf seinem priva- ten Stadtplan die oben genannten Struk- turen zu schaffen, welche aus zwei bis vier Plättchen bestehen. Aus einem Beutel ge- fischt warten sie als zufällig entstandene Dreiergruppen darauf, genommen und auf den verschiedenen Stadtplänen abge- legt zu werden.
Der idealen Platzierung stehen zum ei- nen Wasserflächen entgegen, zum andern wird sie durch die aktuelle Platzierungsvor- gabekarte der Runde erschwert. Beispiels- weise müssen die erworbenen Plättchen in gerader senkrechter bzw. waagerechte Li- nie, diagonal oder kreuzweise angeordnet werden. Wenn dabei etwas Vorhandenes stört, kann es rausgeworfen werden, aller- dings auf die Gefahr hin, dass die Maß- nahme mit Punktabzug bestraft wird.
Wer eine Struktur komplettiert hat, darf sie werten, was aber alle ihre Plättchen fixiert. Aus Gründen der Flexibilität wäre man also geneigt, eher spät zur Tat zu schreiten, doch das Gegenteil ist der Fall. Jeder möchte zu einem Zeitpunkt werten, an dem der für alle geltende Spielplan in der Tischmitte noch die richtigen Lücken aufweist. Kann die selbstgebildete Struk- tur auf die korrespondierenden Felder auf dem zentralen Plan übertragen wer- den, weil diese noch leer sind, wird dort ein entsprechender Marker platziert, was zusätzliche Punkte bringt. Thematisch be- deutet dies, dass die eigene Erinnerung an die Stadt in dieser Hinsicht zutrifft. Jeder, der auf seinem Plan etwas anderes liegen hat, erinnert sich nicht richtig. Man liefert sich also ein Rennen, um die Realität zu definieren, und ist bestrebt, sie nachzu- bauen, falls andere schneller waren. Seine im Partieverlauf gesammelten Punkte ver-
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