Page 29 - spielbox special 2020
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 Ludonaute
Kommen Ihnen auch immer die Tränen, wenn Sie Colt Express aus dem Regal holen? Nicht wegen der schönen Erinne- rungen, sondern weil die talentfrei zu- sammengebauten Waggons so krumm und schief sind? Hilfe naht in Form von Colt Super Express, dem Kartenspiel zum Spiel des Jahres 2014. Kein Bauen mehr, der Zug besteht aus Karten, und unsere Outlaws turnen darauf herum. Gesteuert werden sie durch das jeweilige Deck der Spieler, welches je nach Variante nur vier bis sechs Karten enthält. Genau drei davon dürfen pro Runde in einer vorab festzule- genden Reihenfolge eingesetzt werden.
Auf die vertraute Weise wird reihum eine Karte aufgedeckt, und der Spielfilm aus Laufen, Klettern und Schießen läuft ab. Wer wegen eines Treffers vom Zug plumpst, ist raus, ebenso, wer am Ende eines Durchgangs im letzten Waggon steht. Der wird nämlich abgekoppelt: Auf Wiedersehen! Wer nach einer Viertelstun- de allein an Bord ist, gewinnt. Überleben mehrere Schurken ganz vorn auf der Lok, ist derjenige der Sieger, der mehr Wag- gonkarten erobert hat, weil er das größ- te Risiko eingegangen ist. Und selbst Gleichberechtigung gibt es im Wilden Westen: Auch auf die Mädels darf jetzt jederzeit geschossen werden. Nimm das, Belle! -sd
Mandoo Games
Leo Colovinis rührigem Studio Giochi ist es erneut gelungen, einen Titel bei dem koreanischen Verlag unterzubringen. Of- fenbar ist die Luft für Werke im Euro-Stil mit überschaubaren Regeln, auch wenn sie einen gewissen Pfiff aufweisen, auf dem Ursprungskontinent dünn gewor- den. Sind wir (oder der Markt) übersät- tigt? Mag sein. Vielleicht gerade deshalb lohnt es sich, auf Merchants of Dun- huang mehr als nur einen kurzen Blick zu werfen.
Auf dem Tisch sind acht Karten im Kreis jeweils neben einer Pappe ausge- legt, die einen Charakter zeigt. Wer am Zug ist, bewegt das allen als Fortbewe- gungsmittel dienende Kamel um einen Kartenort im Uhrzeigersinn weiter, es sei denn, er zahlt eine oder mehrere Münzen für ein weiter entferntes Ziel. Die dort ausliegende Warenkarte, deren Wert (von 1 bis 10) wie bei Dalmuti ihrer Häufigkeit entspricht, nimmt er entwe- der auf die Hand oder packt sie in sei-
ne Auslage. Neben einem Sofortziel, das quasi unerreichbar ist, gilt es, an beiden Stellen Mehrheiten zu erzielen. In der Auslage hat bei Gleichstand der Späte- re die Nase vorn, während auf der Hand jeder für jeden Kartentyp so viele Punkte wie den Kartennennwert erzielt, sofern er (auch) die meisten gleichen besitzt. Zwar bringen Mehrheiten in der Auslage nur zwei läppische Punkte, jedoch limi- tiert die Anzahl der Auslagenmehrheiten die Handkartenwertungen. Das ist ganz schön tricky, denn man darf eine einmal ausgelegte Karte nicht einfach so auf die Hand nehmen oder eine Handkarte ablegen. Nur mittels bestimmter Charak- tere, an deren Ort man das Kamel abge- stellt hat, darf man eine hilfreiche Aktion ausführen, die sich – je nach Charakter – nicht nur auf die eigene Hand bezie- hen kann, sondern auch beim Gegner zu wildern erlaubt.
Die Entscheidungen sind ziemlich knifflig; das Ende naht schneller, als einem lieb ist. Wer sich merkt, welche Karten die Mitstreiter aufnehmen, hat sicherlich einen kleinen Vorteil; entschei- dend sind die Siege in den Scharmützeln um die einzelnen Mehrheiten. Nach einer halben Stunde steht der Gewinner fest. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Unterlegenen eine sofortige Revanche fordern. -cc
Mattel
Der sensationelle Erfolg der Werwölfe vom Düsterwald lässt auch einen bör- sennotierten Megakonzern nicht kalt. In Jewel Heist betätigen sich fünf bis acht Personen entweder als Räuber oder Detektive. Analog zum Vorbild wissen zwar die Diebe, aber nicht die Detektive voneinander. In der Tischmitte steht der Tresor, ein Plastiksockel, über den eine transparente Haube gestülpt wird. Auf dem Sockel ruhen die Klunker, während auf dem Haubenfuß zwei Glaskugeln als Alarmsymbol liegen, die nur allzu leicht herunterrollen. In der Nachtphase behalten die Vertreter des Gesetzes die Augen geschlossen, während die Räuber vorsichtig die Haube abnehmen und je- weils maximal ein Juwel entwenden und irgendwo bei sich (am Körper beispiels- weise) verstecken. Nur wenn ein Klicker herunterkullert, darf man ihn berühren, um ihn wieder zurückzulegen. Verzich- ten die Gesetzesbrecher darauf, geht ein Klunker als Provision an die Detektive. Ist
den Räubern in zwei Nächten nicht gelun- gen, wenigstens einen Edelstein abzugrei- fen, haben sie sofort verloren. Tagsüber wird dann diskutiert und abgestimmt, wer einen Haftbefehl bekommen soll. Sobald ein Teilnehmer deren zwei erhalten hat, endet die Partie, und dessen Gegenpar- tei kassiert alle verbliebenen Klunker. Die Mannschaft mit den meisten Preziosen gewinnt.
Die Anreize sind richtig gesetzt; das Spielgefühl steht dem des Originals nicht nach. Schon oft war ja das Angebot einer Version in geringerer Besetzung ein Anlie- gen, wie ja auch Derivate wie Werwölfe - Vollmondnacht beweisen. Die faszinie- rende Dynamik wird hier jedoch besser abgebildet, sodass man zu Recht vom klei- nen Bruder sprechen darf. Enttäuschend ist allerdings, dass man es nicht als nötig erachtet, den Titel ins Deutsche zu über- tragen, was sich möglicherweise als Eigen- tor erweisen wird. Welcher Fachverkäufer will schon zugeben, dass er nicht weiß, wie man „heist“ ausspricht? -cc
Moses
Nach dem aufsehenerregenden Safe- house (sb 2/18), in dem ein finsterer Geselle die Spieler über mehrere Buch- seiten verfolgte, arbeitet Moses nun wie- der mit Krimi-Bestsellerautor Sebastian Fitzek zusammen. Der hatte Passagier 23 seinerzeit auf einem Kreuzfahrtschiff angesiedelt. Dieses Buch bildet nun das narrative Gerüst für Sebastian Fitzek Killercruise. Verantwortlich für den Maschinenraum ist ein weiteres Mal Marco Teubner, und wieder einmal läuft der Moses-Verlag in Sachen Material zu Hochform auf. Auf Ober- und Unterteil des Kartons entsteht im Aufbau ein drei- dimensionales Kreuzfahrtschiff mit drei Decks, auf denen die Spieler koopera- tiv unterwegs sind. Sie sollen auf jeder Ebene die Passagiere vor dem Killer in Sicherheit bringen, zeitgleich einen Zu- gang zum Mitteldeck finden, wo der vier- te Charakter wartet, der unterstützend eingreifen kann. Und schließlich muss im Unterdeck der „skrupellose Psychopath“ lokalisiert werden. Murkst der Killer bis dahin allerdings fünf Passagiere ab, ist die Partie verloren. Zudem sollten die Spieler die Charaktere am Leben halten, nur mit ihnen können sie die Aufgabe er- füllen. In einer Profi-Variante kann sich die Gruppe, wie bei Safehouse, auch noch unter Zeitdruck setzen. -sd
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